Weihnachten
Am Abend vor der Nacht als er sich erhängte, gab es Nudelsuppe. Seine Frau brachte die vollen Teller in die Wohnstube. Er beugte sich über den Tisch und aß. Es war ein Abend wie alle Abende. Er wusste nur, dass es in dieser Nacht sein würde. Er war angstfrei und gedankenleer. Er zerschnitt die fadigen Nudeln mit der Löffelkante. Der Geschmack der Brühe, die bunten Gemüseteilchen, das Rund des Tellers waren jetzt seine ganze Welt. Es fügte sich keine Erinnerung hinzu. Sein Kopf war leergedacht.
Sie sprachen über Alltägliches: Ob sie die Geschenke für den Bruder eingepackt hätte; er habe zur Sicherheit die Winterreifen aufziehen lassen, sie solle aber trotzdem vorsichtig fahren. Er solle das Brot wieder einwickeln, damit es über die Feiertage nicht austrockne. Ja, das wolle er tun. Als er mit Aufmerksamkeit das Tuckern des alten Volkswagenmotors vernommen hatte, das Schalten und das leiser werdende Sirren der Reifen auf dem feuchten Asphalt, durchlauschte er die Stille. Er hatte keine nennbaren Gefühle. Nur die Luft im Raum empfand er weich und atembar.
Er stand auf, ging zum Werkzeugkasten in der Küche, nahm die Wäscheleine aus dem Plastikbeutel, prüfte den Knoten, trug den Küchenstuhl in das Badezimmer. Seine Bewegungen waren ruhig und gezielt wie die eines Handwerkers. Er stieg auf den Sitz, legte die Leine, deren Länge er sechsWochen zuvor genau berechnet hatte, über den Eisensturz des Türrahmens, verknotete sie sorgsam bis zu der Filzstiftmarkierung, passte die Schlinge um den Hals, rückte sie mit erhobenem Kinn zurecht, als bände er vor dem Spiegel die Krawatte und, ohne auf den Boden zu sehen, sprang er vom Stuhl.