Maercklin 1975

0653

Einladung

 

Eva Zippel, Zeichnungen und Reliefs

Galerie Maercklin, Stuttgart

21. Mai bis 5. Juli 1975

Quellen:

  • Diemer 1975: Karl Diemer: Alles ist Gleichnis. Neue Arbeiten von Eva Zippel in der Galerie Maercklin. In: Stuttgarter Nachrichten Nr. 119 vom 27. Mai 1975, Seite 17.

Elisabeth Plünnecke: Rede zur Ausstellungseröffnung am 21. Mai 1975 (Auszug).

Bei Eva Zippel ist alles klar. Stuttgarterin, hier geboren. Lebt hier unter Künstlerinnen, gern und problemlos. Sie sieht die anderen gern, sieht ihnen gern zu, sieht gern, wie etwas wird, wächst, sich entwickelt, durchbricht. Uhrmachertochter, liebt die Musik, komponiert. Musikstudium zu riskant. Singt im Grischkat-Chor, studiert an der Stuttgarter Akademie Bildhauerei. Ihr Lehrer: Otto Baum. Sie ahmt ihn nicht nach und verleugnet ihn nicht.

 

Reisen? Gewiß. Aber warum davon viel reden? Wanderungen auf die Alb sind ebenso reich. Bitte keinen Tourismus mit Exoten-Schau, Menschen als Zootier-Ersatz.

 

Nach dem Studium in 20 Jahren Auftrag auf Auftrag. 40 Plastiken am Bau. Keine Protektion, ehrlich aus Wettbewerben für Staat, Stadt, Kommune – vom „Ochs von Besigheim“ bis hin zur Plastik im Staatsarchiv.

 

Alles ganz klar!

 

Und die Ausstellung nun : von erfrischend menschenfreundlicher Begrenzung, nach menschlichem Maß der Aufnahmefähigkeit: Reliefs und Zeichnungen; Natur, Landschaft, Körperformen, Pflanzen, Getreidefelder, Wald aus Körperformen. Einleuchtend klar: Bildhauer haben mit Körperformen zu tun. Und Körperformen werden zu Landschaften.

 

Aber sie sehen die Körperformen in Reliefs, im Wald, in den Zeichnungen der Landschaft. Landschaft als Körperform – „unmöbliert“ sagt Eva Zippel in ihrer geraden Sprechweise. Alles klar, schlicht, einfach.

 

Von wegen klar, schlicht, einfach! Eben nicht, wie das Leben. Man spricht heute so eifrig davon, etwas in den Griff zu bekommen. Diskussionsgremien und ernst gemeinte Institutionen streben das als wünschenswertes Ziel an: Nicht nur Ungeziefer und Seuchen, sondern jedwede Sache und Idee, Menschen und Geist und Leben in den Griff bekommen. Fatal. Bekommen Sie einmal die klare Eva Zippel und ihr Werk in den Griff. Eva Zippels Werk können Sie anfassen, es betasten, mit der Hand, mit den Augen. Aber in den Griff? Nein. Es entzieht sich wie alles Leben.

 

Schauen Sie noch einmal auf ihre Vita : Ein stiller sehr zurückhaltender Mensch, ein gar nicht öffentliches Leben und lauter öffentliche Aufträge.

 

Ein zierliches Persönchen mit großen Augen, offenen Ohren, feinfühlig, mit hörsamem Herzen fängt mit der Wucht, dem Trumm „Ochsen von Besigheim“ an und schafft am Bau, für den Bau. Schaffen mit allen Materialien, Holz, Terracotta, Metall aber am liebsten im harten Naturstein. Und hier ganz herb : Mooreiche, uralt hart. Sie braucht das, den Zeitaufwand, die Mühe. Sie mag keine schnellen Sachen. Die Auseinandersetzung mit dem Stoff, der Zeit fordert, schenkt die Lust der langen Wanderung. Der Weg ist so spannend wie das Ergebnis.

 

Die Zeichnungen hätte sie auch spritzen können. Aber sie zeichnet sie mit hartem Blei und spitzer Feder, sorgfältig, ohne Zufälligkeiten. Es dürfen ja nicht zwei Striche zusammengeraten, sonst wird die Stelle dunkel.

 

Wolken, Rapidograph, 54 x 36 cm, 1972 (0572)
Wolken, Rapidograph, 54 x 36 cm, 1972 (0572)

Keine Farbe sonst in der Zeichnung, für das Relief das herbe Material. Mooreiche – das hellere Ahorn erscheint ihr schon zu lieblich – ein bißchen Mahagoni auf Mooreiche beim Waldrelief. Und Blei. Die Formen sind weich, darum muß der Stoff herb sein.

 

Diese klaren Zeichnungen: Hügelformen, Getreidefelder. Nicht nur die weichen und schweren Formen stimmen, auch die Zwischenräume. In diesen Zeichnungen erfahren Sie es wieder: Leben ist nicht im Körper eingeschlossen, sondern spielt sich dazwischen ab, in der Balance von Intimität und Distanz.

 

Nehmen Sie Eva Zippels und mein Lieblingsblatt: Sehen Sie, wie das Schwere schwebt. Dieses Trumm von Wolke, ganz leicht. Ist das nicht herrlich? Lebenslust, Freiheit – das Schwere schwebend. Aber daß es das tut, daß es fliegen kann, sich triumphierend in die Luft erhebt, dazu muß der Zwischenraum stimmen (siehe Abbildung).

 

Ganz einfach. Aber nie „im Griff“.

 

Wuchtiges Werk der Zierlichen. Fleißarbeit der Gelassenen, die sich Zeit nimmt, Zeit will. Weiche Form im herben, harten Stoff.

 

Sichfinden im Aneinandervorbei. Das Wesentliche in den Zwischenräumen. Das Schwere, das schwebt. Mit Mut zu sehen, zu hören, zu leben, was einem keine Meinung vorsagt. Paradox: Geheimnis allen reizvollen Lebens.